… das, was man liebt und gerne tut, durchsetzen. Dominik Susteck im Podcast-Interview mit Irene Kurka

Dieser Text erschien als Podcast-Folge sowie in dem Buch neue musik leben, Band 1 von Irene Kurka.

Irene kurka: Dominik, wie bist du zur Neuen Musik gekommen?

Dominik Susteck: Bei mir war es so, dass ich schon in meinem ersten Klavierunterricht anfing, mir meine Stücke selbst zu schreiben. Ich hatte das große Glück, eine sehr nette Klavierlehrerin zu haben, die davon begeistert war. Das hat mich sehr stark motiviert, weiterzumachen. Wir hatten immer ein Literaturstück und dann mein eigenes Stück. So ging es los. Da war ich etwa zehn Jahre alt und habe natürlich keine Neue Musik in dem engeren Sinne komponiert. Meinen ersten Orgelunterricht hatte ich mit 13 Jahren beim Zacher-Schüler Ludwig Kaiser in Bochum, der auch sehr viel Neue Musik gespielt hat. Da bin ich zu den Konzerten mit Werken von Olivier Messiaen, Mauricio Kagel oder György Ligeti gepilgert. Ich habe mir das angehört und wollte das dann selbst machen.

Das hat dich also sofort begeistert, die Neue Musik?

Ja, vor allem Messiaen habe ich schon als 13-jähriger sehr gut gefunden. Natürlich gab es auch Sachen, die ich nicht so toll fand, aber irgendwie bin ich dann in diese Welt reingerutscht. Ich habe die Kurse für komponierende Jugendliche in Weikersheim besucht. Danach habe ich auch bei Jugend komponiert mitgemacht und so ging es immer weiter.

Hast du auch schon in jungen Jahren improvisiert?

Ja, mit dem Orgelunterricht habe ich auch das Improvisieren gelernt, wobei ich zunächst anfing, eine Choralmelodie zu begleiten. Es wurde das Liederbuch hingestellt und beim ersten Ton gefragt: „Welchen Akkord könnten wir dazu nehmen?“ Und dann ging das immer weiter, zweiter Ton, welcher Akkord dann, und so habe ich gelernt, zu improvisieren, aber eher im klassischen, gebräuchlichen Stil.

Du improvisierst mittlerweile sehr viel – auch hier, an der schönen Kirche und Kunst-Station Sankt Peter in Köln. Hat das einen Einfluss auf die Art, wie du komponierst?

Ich habe im Studium die moderne Improvisation stark weiterentwickelt. Damals war es ein bisschen verpönt, das Improvisatorische in die Kompositionen einfließen zu lassen. Damals habe ich in Essen bei Nicolaus A. Huber studiert. Da musste immer ganz stark überlegt werden, wie und warum man alles komponiert. Das erzeugte einen gewissen Zwiespalt in mir. Die Improvisation auf der einen Seite, die so locker-flockig vor sich ging, und auf der anderen Seite das Komponieren, was ja auf dem Papier doch auch eine gewisse Distanz bewirkte. Später habe ich mich dann zurückbesonnen und habe überlegt: „Wie kann ich das wieder verbinden?“ Und dann habe ich diesen Konflikt aufgelöst. Jetzt spielt das Improvisieren wieder eine größere Rolle bei meinen Kompositionen.

Wie hast du diesen Konflikt überwunden?

Da war der Gedanke: „Man tut das nicht“, und eine gewisse Hemmung. Irgendwann habe ich mir gesagt, dass gutes Improvisieren auch eine Art von Komposition ist, und Komponieren kann auch eine Art von Improvisation sein. Und wenn man das toll kann, wie bei den Werken von Wolfgang Rihm zum Beispiel, dann ist das auch eine gute Möglichkeit. Seine Kompositionstechnik hat etwas Improvisatorisch-Spontanes. Man muss als Komponist selbst sehen, was einem liegt. Da muss man auf seine Stärken achten. Und die habe ich dann wieder hervorgegraben.

Wie ist bei dir die Gewichtung zwischen Komponieren, Orgel spielen und Improvisieren? Wie kann man sich das vorstellen?

Es ist schon so, dass ich sehr viel improvisiere, auch modern, im Gottesdienst hier in Sankt Peter. Das Improvisieren hat aber den Nachteil, dass es sofort verloren ist, selbst, wenn ich einen sehr guten Tag habe und es wunderbar läuft. Da ist es etwas anderes, wenn ich es schaffe, die Dinge aufzuschreiben, meine Modelle, meine musikalischen Gedanken niederzulegen. Das hat nochmal einen anderen Wert, weil es von mir selbst wegführt. Als Improvisator bleibst du immer bei dir, du reproduzierst dich immer selbst. Als Komponist machst du etwas, das man lesen kann, damit kann man sich beschäftigen, das können andere Leute interpretieren. Das hat irgendwo etwas Bleibendes. Deswegen wende ich mich auch immer wieder dem Komponieren zu, um das dann festzuhalten. In der Orgeltradition, gerade bei Orgelkomponisten, ist und war das schon immer sehr ausgeprägt. Bach hat unheimlich viel improvisiert. Es gibt Stimmen, die behaupten, er wäre ein größerer Improvisator als Komponist gewesen. Und wenn man die Bach’schen Orgelwerke ansieht, gerade die Toccaten oder Präludien, dann sieht man, dass sie völlig aus dem Improvisationsgestus heraus entstanden sind.

Wie sieht dein Alltag aus? Wieviele Stunden spielst du Orgel? Komponierst du jeden Tag – oder wie kann man sich das vorstellen?

Mein Alltag sieht leider ein bisschen anders aus, weil ich nebenbei eine ganze Institution zu verantworten habe, viele Konzerte organisiere, viele Anfragen bekomme und viele Mails beantworten muss. Deswegen sind die Stunden, in denen ich wirklich Musik machen darf, relativ rar. Leider ist es dann so, dass ich im Moment eigentlich nur noch gezielt für bestimmte Projekte arbeiten kann. Also wenn ein Kompositionsauftrag anliegt, wird das Stück komponiert. Dann gehe ich in so eine Zwitterstellung, dass ich immer wieder improvisiere, komponiere, und dass es sich dann aus diesen beiden Elementen quasi zusammensetzt. Wenn ich Literatur übe, ist das oft ganz konkret auf ein Projekt bezogen. Ich bekomme auch viele Zuschriften von Komponist:innen. Ich kann aber nicht alles allein machen! Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich der einzige Neue-Musik-Organist …

Wenn du ganz konkret auf Projekte zuarbeitest, legst du dann genau fest, in welchen Stunden du übst?

Genau. Wenn die Projekte näher rücken, bekomme ich immer ein bisschen Angst, dass ich es nicht schaffe. Dann fange ich an zu üben, das kennt man ja als Musiker. Ich muss das aber immer genau überlegen, weil ich viel für den Deutschlandfunk einspiele. Da werden die Programme von vornherein abgestimmt. Das heißt, ich suche gar nicht immer alles selbst aus, sondern man überlegt sich von vornherein quasi den Jahresfahrplan.

Du sagtest gerade, dass du dir manchmal wie der einzige Organist vorkommst, der Neue Musik spielt. Wie viele Kollegen oder Kolleginnen spielen denn auch Neue Musik?

Ich kann natürlich keine Zahlen nennen und sicherlich gibt es viele, die Neue Musik sehr gut spielen. Was ich meinte, war, dass es die Sicht der Komponist:innen ist, die denken: „Wir brauchen einen Organisten für Neue Musik“ – und dann kommen sie schnell auf mich. Dabei gibt es ganz fantastische Kollegen, die Neue Musik spielen, wie zum Beispiel die Zacher-Schüler Matthias Geuting und Andreas Fröhling oder Andreas Hoffmann aus dem Saarland. Allerdings haben sie das oft nicht als Schwerpunkt und machen viele andere Dinge. Zu dem Orgelfestival orgel-mixturen, das ich hier halte, lade ich ungefähr fünf bis zehn andere Interpret:innen pro Jahr ein, um reine Neue-Musik- Orgelkonzerte zu spielen. Ich bemühe mich, auch stets neue Leute zu entdecken und nicht immer nur alte Bekannte wie unseren Titularorganisten Zsigmond Szathmáry einzuladen: beispielsweise die ganz junge Konzertorganistin Angela Metzger oder den Berliner Maximilian Schnaus. Hinzu kommen Organistinnen und Organisten mit inter- nationalem Background wie Age-Freerk Bokma, Megumi Hamaya, Jun Hashimoto oder Morten Ladehoff. So sind wir schon eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen.

Also es gibt durchaus einige, die sich auch für Neue Musik einsetzen.

Ja, sicherlich. Es ist allerdings so, dass viele auch im Kirchendienst sind und nicht die Gelegenheit haben, das dann so umzusetzen. Oder beruflich vielleicht anders eingespannt sind. Aber es gibt auch viele, die Wettbewerbe spielen und auch innerhalb dieser Wettbewerbe natürlich Neue Musik machen. Man kann mittlerweile zum Beispiel bei Bern- hard Haas in München einen entsprechenden Studiengang absolvieren, Neue Musik Orgel, den unter anderem Michael Sattelberger aus Stuttgart abgeschlossen hat. Auch in Köln gibt es ein Aufbaustudium Neue Musik Orgel bei Margareta Hürholz. Die hervorragende Komponistin Lisa Streich hat ihre Orgelprüfung bei uns gespielt.

Du organisierst hier auch Konzerte wie die orgel-mixturen und die wöchentlichen Lunchkonzerte und du bekommst sehr viele Zuschriften, wie du erzählt hast. Welche Bewerbungen stechen dann für dich heraus, sodass du sagst: „Ach, das könnten wir jetzt machen, das spricht mich an“?

Das kann ich gar nicht so sagen. Das ist mehr so eine Gefühls- und Erfahrungssache, welche Programme hier passen. Bei den orgel-mixturen bekomme ich meistens wenig Bewerbungen von außen. Stattdessen kenne ich bestimmte Leute oder komme in Situationen, wo ich Orga- nisten oder Organistinnen kennenlerne, die bestimmte Programme spielen. Dann sage ich: „Das will ich auch haben“ oder „das halte ich hier für gut.“ Bei den Lunchkonzerten war es am Anfang nicht ganz so einfach. Da gab es viele, die etwas machen wollten, aber das passte nicht unbedingt ins Programm. Wenn man wöchentlich Konzerte anbietet, muss man eben sehen, wie man das füllt. Das Problem ist oft, dass es entweder zu viel oder zu wenig Angebote gibt. Entweder habe ich Lücken und weiß nicht mehr: „Wie soll ich das jetzt überbrücken?“ Oder ich habe ganz schnell das Jahr aufgefüllt, wie es im Moment der Fall ist. Im Idealfall lade ich Interpret:innen gerne mehrfach ein, wie zum Beispiel dich, damit sie sich entsprechend entfalten können.

Was macht für dich gute Neue Musik aus?

Das ist schwer zu sagen, denn das ist ja ein Riesen-Komplex. Man kann ihn von völlig unterschiedlichen Seiten betrachten. Zunächst stellt sich die Frage: Was ist Neue Musik? Das ist ein eigener Kosmos von sehr vielen unterschiedlichen Musikstilen. Und es gibt völlig unterschiedliche Sichtweisen.
Als Interpret betrachte ich Stücke anders, als wenn ich sie als Kompo- nist anschaue. Als Komponist finde ich es gut, wenn das Stück ausgearbeitet ist, wenn es ausgereift ist, wenn die Partitur sehr viele Detailinformationen enthält. Als Interpret möchte ich, dass die Dinge gut funktionieren, dass sie sich überzeugend darstellen lassen, dass man nicht ewig überlegen muss – oder gar Stücke hat, die nicht aufführbar sind. Allerdings wünscht man sich als Interpret auch gerne mal die eine oder andere Freiheit. Vielleicht möchte ich als Interpret gar nicht in dieses Korsett, in dem alles bis ins kleinste Detail festgelegt ist. Und so ist es immer ein Ausbalancieren von dem, was offen ist, was frei ist, und von dem, was festgelegt ist.
Es gibt immer wieder Entdeckungen. Zum Beispiel habe ich kürzlich Hans-Joachim Hespos’ Orgelwerke komplett eingespielt, die eine sehr gute Mischung unterschiedlicher Kompositionsweisen bildeten. Es schien mir als Interpret richtig, dass der Komponist ganz klar rüberbringt, was er will, ohne im Detail zu sehr in das Metier des Organisten einzugreifen. Das fand ich super. Man muss sagen, die Orgel hat auch eine gewisse Sonderstellung, das ist oft nicht unproblematisch. Anders als bei anderen Instrumenten ist jedes Instrument individuell gebaut wie ein Einfamilienhaus. Register, die es auf der einen Orgel gibt, gibt es auf der anderen nicht. Oder es gibt eine Technik, die die eine Orgel hat und die andere nicht. Dann muss man ständig übertragen und transkribieren, und das birgt eigene Herausforderungen.

Löst du das allein oder in der Kommunikation mit dem Komponisten?

Das ist sehr unterschiedlich. Es hängt davon ab, was der Komponist oder die Komponistin wollen. Manche wollen ganz intensiv eingreifen und vor Ort sein, wie zum Beispiel Julián Quintero Silva, Joana Wozny oder Anna Korsun. Manche wollen auch, dass ich quasi das Beste heraushole, und vertrauen mir dann, wie zum Beispiel Farzia Fallah oder Samir Odeh-Tamimi. Es ist allerdings auch immer eine Zeitfrage, das heißt: Wie viel Zeit habe ich, um mit dem Komponisten, der Komponistin zusammenzuarbeiten? Am besten ist natürlich, ich bereite einfach schon gut vor, denn dann kann sich der Komponist wirklich auch um Details kümmern. Dies kann allerdings auch schiefgehen, wenn ich in eine ganz andere Richtung denke als die Komponistin. Oder ich stelle verschiedene Alternativen vor. Das ist auf jeden Fall besser, als mit Komponist:innen bei null anzufangen, weil sonst einfach zu viele Basics die Zeit verschwenden.

Wie reagieren Dein Freundeskreis, Deine Familie, Kolleg:innen oder das Publikum auf Deine Art, Musik zu machen? Und wie gehst du damit um?

Also, die finden das alle toll! Ich habe das große Glück, dass das nicht zur Disposition steht. In Köln ist sowieso ein sehr offenes Klima. Die Leute freut es, wenn man etwas Originelles macht, wenn man etwas Ausgefallenes macht. Es wird eigentlich nicht infrage gestellt. Was meine Familie betrifft, da erinnere ich mich an früher, an meine Abschluss- prüfung, wo ich Wolfgang Rihm und Adriana Hölszky gespielt habe. Einigen war das etwas zu wild. Ich muss allerdings sagen: Als Künstler oder als Komponist oder Organist muss man das machen, was einem wichtig ist, auch wenn der ein oder andere das vielleicht nicht toll findet. Das ist völlig normal. Ich finde ja auch nicht alles toll, was andere Leute machen. Von daher ist das für mich in einer guten Balance.

Siehst du Vorurteile gegenüber der Neuen Musik? Und was wünschst du dir oder tust du dafür, dass sich diese ändern?

Vorurteile gibt es oft, selbst wenn die Leute die Stücke gar nicht gehört haben. Das ist schade, dass Leute immer schon „Bescheid wissen“. Ich habe zum Beispiel neulich mit einem Kollegen gesprochen, der über die Orgel hier in Sankt Peter ein bisschen gelästert hat. Er erzählte mir, er hätte drei Orgeln der Orgelbaufirma gehört und schlussfolgerte so auf die vierte Orgel. Er hatte sich, ohne die Orgel in Köln wirklich jemals gehört zu haben, bereits ein Urteil gebildet. Das passiert auch manchmal bei der Rezeption Neuer Musik. Vorurteile sind oft relativ pauschal, wenn Leute nicht bereit sind, sich mit irgendetwas auseinanderzusetzen und es sich noch nicht einmal anhören. Das finde ich unverständlich. Für mich steht im Wesen von Kunst die direkte Erfahrung. Natürlich urteilen wir, um uns zu orientieren. Das sollte aber nicht den Blick für die Erfahrungsmomente verschließen. Die Erfahrung ändert sich auch mit dem erneuten Hören. Das galt schon in früheren Zeiten für Musik: für die Bach’sche Choralbegleitung oder die den Zeitgenossen oft fremd und unverständlich abgehackt erscheinende Musik Beethovens.
Ich finde, in Köln hat die Neue Musik einen guten Stand. Man kann es vielleicht nicht so pauschal sagen. Man muss einfach Sachen wiederholen, dann können die Zuhörenden besser ins Innere der Musik eindringen. Ich spiele auch öfter moderne Programme in anderen Kirchen. Im Allgemeinen habe ich damit positive Erfahrungen gemacht.

Wofür bist du im Moment dankbar?

Diese Frage hört sich so an, als würde sie das ganze Leben umfassen. In Bezug auf die Musik bin ich recht dankbar, dass ich alles so machen kann, wie ich möchte, und dass sich das für mich persönlich so positiv entwickelt hat. Ich muss sagen, eine der vielen Vorstellungen von anderen war: „Davon kann man nicht leben.“ Da bin ich dankbar, dass ich mich letztlich dem widersetzt habe, und kann nur jedem empfehlen, ebenfalls auf seine Intuition zu vertrauen – dann wird es sich schon gut entwickeln.

Wer oder was hat dich am meisten geprägt oder inspiriert?

Ich muss sagen, dass ich schon immer ziemlich eigensinnig war und meine Vorstellungen oft sehr extrem verfolgt habe, auch gegen Widerstände. Aber zum Beispiel fand ich Olivier Messiaen immer großartig und konnte auch die Bedenken anderer gar nicht richtig nachvollziehen. Sicherlich bin ich dadurch in schwierige Situation geraten, da man in anderen natürlich Unterstützung sucht.
Im Studium hatte ich keine Lehrer, die Neue Musik auf der Orgel gemacht haben. Sie haben mich aber gefördert. Nicolaus A. Huber war als Kompositionslehrer eine ganz prägende Persönlichkeit für mich. Fast zu viel, die Dosis war ein bisschen zu hoch. Jörg Stephan Vogel an der Bischöflichen Kirchenmusikschule Essen hat mich sehr unterstützt. Und ich war sehr berührt, den bereits pensionierten Gerd Zacher kennenlernen zu dürfen. Hier in Köln war die Anfangszeit mit Friedhelm Mennekes sehr prägend. Ich habe mich aber schon immer sehr stark durchgebissen. Ich hatte früher bei einigen Wettbewerben mitgemacht, auch als Komponist. Das fand ich immer toll, weil die im Gegensatz zu den Interpretationswettbewerben anonym sind. Ich musste wirklich nur auf die Partitur achten, nicht auf den Namen. Das hat mich inspiriert. Dann hatte ich das große Glück, mit dem Deutschlandfunk und vor allem mit dem Redakteur Frank Kämpfer zusammenzuarbeiten. Dort war für Neue Musik auf der Orgel eine Nische vorhanden. Es hatte niemand Neue-Musik-CDs für Orgel in großem Umfang gemacht. Es gab keine neuen Einspielungen. Zum Beispiel Wolfgang Rihm: Es war ein Glücksfall, die erste CD mit seinen Orgelwerken zu machen. Es gab diese Stücke immer nur vereinzelt auf Misch-CDs. Auch Ligeti, eigentlich verrückt, gab es nur in älteren oder verstreuten Aufnahmen.
Dasselbe galt für Mauricio Kagel oder John Cage. Besonders inspirierend fand ich die CDs, bei deren Produktion die Komponist:innen anwesend waren oder wo ein Kontakt zu ihnen bestand: Adriana Hölszky, Gerhard Stäbler, Gabriel Iranyi, Jörg Herchet oder Hans-Joachim Hespos. Zudem konnte mit dem Deutschlandfunk der Composer in Residence installiert werden. So entstanden Uraufführungen von Peter Kőszeghy, Luís Antunes Pena, Jamilia Jazylbekova, Jung-eun Park oder Eres Holz sowie weitere Mitschnitte von Timo Ruttkamp, Simon Rummel, Niklas Seidl und vielen anderen. Es hat großen Spaß gemacht, diese Aufgabe erfüllen zu dürfen, gerade weil die Orgel oftmals an anderer Stelle für Neue Musik nicht wirklich ernst genommen wurde. Ich hatte das Gefühl, eine Lücke zu füllen und etwas Wesentliches dem bekannten Repertoire hinzuzufügen.

Ist es das, was dich antreibt, oder hast du noch eine andere Vision?

Pläne für die Zukunft? Die CDs sind weitestgehend eingespielt, zumindest die größeren Sachen, aber es gibt ja immer wieder lebende Komponist:innen, die etwas machen wollen. Wie ist meine Vision? Ich habe jetzt gar keine konkrete Vision für die Zukunft. Ich würde eigent- lich gerne ein bisschen mehr abgeben, das müsste aber dann gut passen. Ich habe derzeit einen kleinen Lehrauftrag hier in Köln, für Neue Orgelmusik, das ist aber immer nur projektweise für ein Konzert pro Semester. Dann gibt es die vielen Lunchkonzerte und die orgel-mixturen, die organisiert sein wollen. Parallel etabliere ich an der Kaiser-Fried- rich-Gedächtniskirche in Berlin eine kleine Reihe für zeitgenössische Orgelmusik, leite die Nacht zeitgenössischer Orgelmusik in Spandau, bei der ich aber nicht alles selbst spiele, sondern viele Kollegen und Kolleginnen einlade. Zudem konzertiere ich neuerdings in Dortmund, Bochum und Duisburg regelmäßig, auch mit eigenen Werken, denn dafür möchte ich mir in der Zukunft mehr Zeit nehmen.

Welchen Tipp möchtest du jungen Künstlern und Künstlerinnen geben?

Ich gebe gerne den Tipp, sich nicht beirren zu lassen, sondern das, was man liebt und was man gerne tut, entsprechend durchzusetzen. Denn das Leben ist kurz und man hat nur eine gewisse Zeitspanne zur Verfügung. Als junger Mensch denkt man nicht so. Da denkt man immer, man hat Zeit bis in alle Ewigkeiten, alles Mögliche auszuprobieren. So ist es aber nicht. Man muss die Zeit, die man zur Verfügung hat, jetzt nutzen. Und die sollte man nutzen, indem man das tut, was man selbst für richtig hält. Dann wird sich auch ein guter Weg ergeben.