Parallel zur Entwicklung des wachsenden Schlagzeugs in der Neuen Musik entwickelte Peter Bares Orgeln, die ihren Klang durch hinzugefügte Schlaginstrumente erweitern. Ähnlich wie sich Helmut Lachenmann in seiner „musique concréte instrumentale“ ausschließlich für akustische Geräusche interessiert, verzichtet Bares auf jegliche elektronische Klangerzeugung.
Die erste Orgel mit Schlagwerken, die Bares 1972 realisiert, entsteht in der Pfarrkirche St. Peter in Sinzig. Diese Orgel verfügt zudem über technische Neuerungen wie Registermanual, Tastenfessel, Mixturensetzer und Winddrossel. Roman Summereder sieht in dieser Orgel einige von György Ligeti vorgeschlagene Änderungen verwirklicht. Dieser hatte 1968 im Vortrag für die Walcker-Stiftung „Was erwartet der Komponist der Gegenwart von der Orgel?“ gefordert, das Teiltonspektrum der Orgel zu erweitern, glocken-, metall- und sprachähnliche Klänge zu integrieren, die Steuerung der Windzufuhr zu ermöglichen sowie Tremulanten mit variablen Frequenzen einzubauen. Außerdem verlangte Ligeti die Entwicklung des Transmissionssystems sowie Jalousien für Registergruppen. Diese Möglichkeiten verwirklicht Bares mit seiner Orgel in Sankt Peter Köln.
Die klanglichen Besonderheiten von Bares’ Orgeln lassen sich in vier Merkmale einteilen. Erstens bieten die Instrumente eine Fülle von zuschalt- baren Obertönen. „Die große Zahl der gemischten Stimmen, besonders im Koppelwerk, dient eben jener Erweiterung und Flexibilisierung der Klangmischungen im Obertonbereich. Peter Bares’ Konzeption der neuen Orgel in Sankt Peter ist gegen das Ideal des romantischen Wohlklangs gerichtet. Er hat vielmehr das Klangideal etwa einer Arp-Schnitger-Orgel im Sinn, wenn er sagt, die Orgel müsse dissonanzfähig sein“ (Coignet 2006).
Vier Cymbeln im Koppelwerk können in einer besonderen Quadruplaschaltung miteinander kombiniert werden. Wenn sie eingeschaltet sind, kann zwischen fünf Varianten gewählt werden, die die Cymbeln mischen. Mit dieser Schaltung greift Bares modernen Computer- programmierungen vor.
Zweitens erweitert er die Musik durch das zugeschaltete Schlagwerk aus Xylophon, Xylodur, Röhrenglocken, Harfe und Glockencymbel. Alle Register lassen sich auf allen Manualen und Pedal chromatisch sowie in steuerbarer Repetition anspielen. Bares lässt neben den gestimmten Schlagzeugregistern einzelne Schlagwerke über Knöpfe steuern: Beckenstern, Silberklang, Jauler und Sirene.
Drittens wirken sich einige intelligente Koppellösungen auf den Klang aus. Neben einer Koppel vom Pedal ins Manual baut Bares eine Dur-Organum-Koppel, die beim Spielen eines Pedaltons einen Durakkord erklingen lässt. Die Organumtechnik wird im Mixturensetzer für das Hauptwerk flexibel gestaltet, indem beliebige Organumtöne angekoppeltwerden können. Ein Registermanual gestattet es dem Spieler, einzelne Registergruppen sowie Schlagwerke, Trillerpfeife und Hahn kurzzeitig ein- und auszuschalten. Alle Tremulantengeschwindigkeiten sind stufenlos regelbar. Eine Tastenfessel hält die Töne des Hauptwerks auf Wunsch gedrückt.
Der vierte Aspekt bezieht sich auf den Winddruck der Orgel. Eine stufenlos verstellbare Winddrossel regelt die Geschwindigkeit des Motors und ermöglicht feine Abstufungen im Orgelklang.
Eine unabhängige Prüfung erfährt das Kölner Instrument 2006 durch den französischen Orgelexperten Jean-Louis Coignet mit einer Veröffentlichung im ISO Journal, dem Internationalen Magazin der Gesellschaft der Orgelbauer: „Der Klangcharakter vermittelt Fluss, Transparenz und auch Geheimnisvolles; man ist auf den ersten Anhieb fasziniert. […] ein Instrument, das von einem Visionär entworfen wurde, der keiner Schule angehört und der dazu berufen ist, den Komponisten neue Horizonte aufzutun. Kurz gesagt: Es ist eine zeitgenössische Orgel.“ Coignet vergleicht die Kölner Orgel mit dem berühmten Orgelneubau unter Frank Gehry in der Walt Disney Hall in Los Angeles. Letztere sei eine traditionelle Orgel, während die Kölner Orgel inhaltlich Neues biete, eher vergleichbar mit den von Jean Guillou entworfenen Orgeln oder mit dem Instrument im Museum Sanfilippo in Barrington, Illinois. „Schon in der Orgel von Sinzig hatte Peter Bares außergewöhnliche Mixturen eingeführt. Bei der Orgel von Sankt Peter geht er noch weiter, indem er dem Organisten gemischte Stimmen zur Verfügung stellt, deren Klangspektrum sich automatisch ändern kann, entweder programmiert oder fallbedingt. Der mit dieser Einrichtung hervorgerufene Klangeffekt ist wirklich außergewöhnlich. Für Peter Bares muss sich die Orgel für Dissonanzen eignen, und ich muss zugeben, dass sich das an der Orgel von Sankt Peter in beachtenswerter Weise zeigt.“
Fast wie selbstverständlich entwickelte Bares seine Orgeln aufgrund seines Denkens als Komponist. So ist er vielleicht ein „Orgelkomponist“ zu nennen, der seine Dispositionen „komponiert.“ Erstaunlich nahe kommen die Resultate den von Ligeti geforderten Neuerungen. Den Ausbau von 70 Registern zu einem Instrument von 112 Registern begründet Bares folgendermaßen: „Eine Orgel ist eigentlich nie groß genug. Dabei ist nicht die Lautstärke, sondern das Potential an Farbe und Geist entscheidend. Die Orgel ist ein hochgeistiges Instrument, weil sie alle Künste und Techniken in sich vereinigt“ (zit. n. Gassmann 2007).
Zuerst erschienen in: Musik und Kirche, Kassel 3/2011, S. 196f.